Bundestagswahl 2017: AfD im Osten
Bei der Bundestagswahl wurde die AfD im Osten Deutschlands die zweitstärkste Kraft. Wie passiert so etwas? Politische Auseiandersetzungen orientieren sich zwar entlang politischer Konfliktlinien, die nicht mit den Lebensbedingungen einher gehen müssen. Dennoch haben die Alltagserfahrungen einen maßgeblichen Einfluss auf die Problemsicht.
Die Basis dieses Beitrages ist ein seit langem betriebenes, teilweise vernachlässigtes Promotionsvorhaben über den Wandel der Lebensweise ostdeutscher Facharbeitermilieus.
Meine Kernthese ist, dass sich in den Wahlerfolgen der AfD ein verhärteter Osten mit rigideren Moralvorstellungen zeigt, der aus schwierigen Lebensbedingugen, vielfach erlebten Demütigungen und Abwertungen heraus entstanden ist und nun gegen eine so wahrgenommene Bevorzugung anderer Gruppen revoltiert.
Bekanntlich gab es in den 1990ern bis zur Jahrhundertwende einen sehr großen Zusammenbruch der ostdeutschen Wirtschaft. Viele Betriebe überlebten den Übergang in die Marktwirtschaft nicht – oder wenn dann nur als stark geschrumpfte Schatten einstiger Größe. Im Rahmen der Treuhandpolitik hatte eine rigorose Privatisierung Vorrang vor Sanierungsbemühungen, so dass die Interessen potentieller Investoren und westdeutscher Konkurrenz die Interessen vor Ort ausstachen. Auch alte Traditionsbetriebe überlebten diese Zeit nicht. Die ostdeutsche Wirtschaft fehlen seither die großen Unternehmen mit vor Ort ansäßigen Zentralen. Neu entstandene Firmen sind nicht selten nur verlängerte Werkbänke. Die Wirtschaft ist mittelständisch und durch Kleinbetriebe geprägt, die Industrie arbeitet vor allem im Zuliefererbereich, bildet jedoch nicht das Zentrum der Wertschöpfung.
Die lange Zeit das öffentliche Bild dominierende Massenarbeitslosigkeit ist nur die Spitze des Eisbergs. Darunter verbergen sich verbreitete niedrige Löhne, die auch, und das ist der Unterschied zum Westen Deutschlands, in Berufen der technischen Arbeitslogik (also in den männlich dominierten Handwerks- und Industrieberufen) deutlich verbreitet sind. Es gibt durch die kleinen Firmen weniger Mitbestimmungsrechte, die Tarifbindung ist schwächer und nicht selten gibt es in den Betrieben autoritärere Strukturen. Dazu kommen prekäre Arbeitsformen: weite Pendelwege, Leiharbeit für andere Regionen. Dazu kommen seit 20 Jahren die in Gesamtdeutschland sichtbaren Entwicklungen eines Finanzmarktkapitalismus, der mehr auf Shareholder Value setzt und dem Renditeerwartungen als höherrangig gilt als die Zukunft einzelner Firmenstandorte.
In meinen mit ostdeutschen Arbeitern geführten Interviews werden die Betriebsschließungen und die Entlassungen als massive Demütigungen erlebt, mit denen Biographien einfach weggeworfen wurden und werden. Um sich eigenständig über Wasser zu halten und nicht von Sozialleistungen abhängig zu sein, haben viele große Einschränkungen bei der Arbeit in Kauf genommen. Weites Pendeln belastet das Familienleben, viele leisten massenhaft Überstunden und dennoch bringt der niedrige Lohn wenig für langfristige Rücklagemöglichkeiten für eine Alterssicherung.
Auch innerbetrieblich hat sich viel verändert. Sprechen die Arbeiter von den alten Betrieben, dann berichten sie von einer Kultur des Zusammenhaltens und der gegenseitigen Hilfe. Von Gemeinschaften, die nicht am Werkstor aufhörten. Durchweg wird dagegen heute ein Ellenbogendenken und Konkurrenzverhalten beklagt.
Wer es nicht geschafft hat, Fuß zu fassen, der wurde durch die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und die Zurückwerfung auf ein sparsames Existenzminimum weiter abgewertet. Die Einführung von Hartz-IV hat insbesondere die ostdeutschen Bundesländer getroffen. Politische Proteste, in denen die Betroffenen sich zur Wehr setzten wurden ausgesessen und der Umgang mit Arbeitslosengeld-II-Beziehern in der Politik kann man seither nur mit dem Begriff der Hartherzigkeit beschreiben. Es gibt quasi kein Vertrauen in die „etablierte Politik“, diese wird als abgeoben, entrückt und wirklichkeitsfern wahrgenommen.
Die tonangebenden Milieus der westdeutsch geprägten Öffentlichkeit haben für ostdeutsche Arbeiter und Arbeitslose wenig Sensibilität und Verständnis gezeigt, sondern die Demütigungen auch symbolisch noch verschärft.
Insofern haben viele im Osten Deutschlands eine Abwehr- und Verteidigungshaltung eingenommen. Das betrifft vor allem autoritätsorientierte Milieus, die von der Politik eigentlich erwarten, dass man sich um sie kümmert und die eine bittere Enttäuschung verspüren. Und diese Enttäuschung und die Abwehrhaltung bekommen jetzt die „Anderen“ zu spüren. Menschen mit fremder Herkunft werden als Bedrohung wahrgenommen. Es geht nicht immer darum, dass die „Anderen“ jetzt „uns“ etwas wegnehmen. Aber wesentlich ist, dass wahrgenommen wird, diese Anderen erhalten symbolisch und/oder materiell eine Unterstützung, die einem selbst verwehrt wird oder für die man (was durch die oben angesprochenen Einschränkungen nur um so deutlicher wahrgenommen wird) hart arbeitet. Willkommensgrüße für Flüchtlinge am Bahnhof sind für diesen Teil der Bevölkerung eben auch ein Hohn.
Der zweite Punkt ist, dass an den „Anderen“ ein schlechtes Verhalten unterstellt wird. Sie stellen Ansprüche, halten sich nicht an Regeln und „kommen einem frech“, wenn man das kritisiert. Nicht selten werden dabei eigene Vorrechte gegenüber den „neu Hinzugekommenen“, die sich erstmal hinten anstellen sollen, proklamiert.
Die (rechts-)radikale Variante davon sieht dann so aus, dass die „Anderen“ hier überhaupt nichts zu suchen haben, sondern bei „uns“ eindringen und „unserer Rechte“ berauben.
Es liegt mir fern, diese Haltungen und Reaktionen gutzuheißen, aber vom Ignorieren gehen sie nicht weg.
Was ist also zu tun? Die Fehler der Wiedervereinigung lassen sich nicht mehr beseitigen. Die Frage der Anerkennung ist jedoch meines Erachtens zentral. Dazu gehört ein gesicherter Lebensstandard auch im Falle von Abstürzen.
Und: das Land muss zusammengeführt werden. Ein Beispiel für eine weitere tiefe Spaltung: Nach wie vor klaffen gefühlt kommunikative Welten zwischen dem Teil der deutschen Bevölkerung mit ostdeutscher und dem Teil mit türkischer Vergangenheit.
Die Basis dieses Beitrages ist ein seit langem betriebenes, teilweise vernachlässigtes Promotionsvorhaben über den Wandel der Lebensweise ostdeutscher Facharbeitermilieus.
Meine Kernthese ist, dass sich in den Wahlerfolgen der AfD ein verhärteter Osten mit rigideren Moralvorstellungen zeigt, der aus schwierigen Lebensbedingugen, vielfach erlebten Demütigungen und Abwertungen heraus entstanden ist und nun gegen eine so wahrgenommene Bevorzugung anderer Gruppen revoltiert.
Bekanntlich gab es in den 1990ern bis zur Jahrhundertwende einen sehr großen Zusammenbruch der ostdeutschen Wirtschaft. Viele Betriebe überlebten den Übergang in die Marktwirtschaft nicht – oder wenn dann nur als stark geschrumpfte Schatten einstiger Größe. Im Rahmen der Treuhandpolitik hatte eine rigorose Privatisierung Vorrang vor Sanierungsbemühungen, so dass die Interessen potentieller Investoren und westdeutscher Konkurrenz die Interessen vor Ort ausstachen. Auch alte Traditionsbetriebe überlebten diese Zeit nicht. Die ostdeutsche Wirtschaft fehlen seither die großen Unternehmen mit vor Ort ansäßigen Zentralen. Neu entstandene Firmen sind nicht selten nur verlängerte Werkbänke. Die Wirtschaft ist mittelständisch und durch Kleinbetriebe geprägt, die Industrie arbeitet vor allem im Zuliefererbereich, bildet jedoch nicht das Zentrum der Wertschöpfung.
Die lange Zeit das öffentliche Bild dominierende Massenarbeitslosigkeit ist nur die Spitze des Eisbergs. Darunter verbergen sich verbreitete niedrige Löhne, die auch, und das ist der Unterschied zum Westen Deutschlands, in Berufen der technischen Arbeitslogik (also in den männlich dominierten Handwerks- und Industrieberufen) deutlich verbreitet sind. Es gibt durch die kleinen Firmen weniger Mitbestimmungsrechte, die Tarifbindung ist schwächer und nicht selten gibt es in den Betrieben autoritärere Strukturen. Dazu kommen prekäre Arbeitsformen: weite Pendelwege, Leiharbeit für andere Regionen. Dazu kommen seit 20 Jahren die in Gesamtdeutschland sichtbaren Entwicklungen eines Finanzmarktkapitalismus, der mehr auf Shareholder Value setzt und dem Renditeerwartungen als höherrangig gilt als die Zukunft einzelner Firmenstandorte.
In meinen mit ostdeutschen Arbeitern geführten Interviews werden die Betriebsschließungen und die Entlassungen als massive Demütigungen erlebt, mit denen Biographien einfach weggeworfen wurden und werden. Um sich eigenständig über Wasser zu halten und nicht von Sozialleistungen abhängig zu sein, haben viele große Einschränkungen bei der Arbeit in Kauf genommen. Weites Pendeln belastet das Familienleben, viele leisten massenhaft Überstunden und dennoch bringt der niedrige Lohn wenig für langfristige Rücklagemöglichkeiten für eine Alterssicherung.
Auch innerbetrieblich hat sich viel verändert. Sprechen die Arbeiter von den alten Betrieben, dann berichten sie von einer Kultur des Zusammenhaltens und der gegenseitigen Hilfe. Von Gemeinschaften, die nicht am Werkstor aufhörten. Durchweg wird dagegen heute ein Ellenbogendenken und Konkurrenzverhalten beklagt.
Wer es nicht geschafft hat, Fuß zu fassen, der wurde durch die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und die Zurückwerfung auf ein sparsames Existenzminimum weiter abgewertet. Die Einführung von Hartz-IV hat insbesondere die ostdeutschen Bundesländer getroffen. Politische Proteste, in denen die Betroffenen sich zur Wehr setzten wurden ausgesessen und der Umgang mit Arbeitslosengeld-II-Beziehern in der Politik kann man seither nur mit dem Begriff der Hartherzigkeit beschreiben. Es gibt quasi kein Vertrauen in die „etablierte Politik“, diese wird als abgeoben, entrückt und wirklichkeitsfern wahrgenommen.
Die tonangebenden Milieus der westdeutsch geprägten Öffentlichkeit haben für ostdeutsche Arbeiter und Arbeitslose wenig Sensibilität und Verständnis gezeigt, sondern die Demütigungen auch symbolisch noch verschärft.
Insofern haben viele im Osten Deutschlands eine Abwehr- und Verteidigungshaltung eingenommen. Das betrifft vor allem autoritätsorientierte Milieus, die von der Politik eigentlich erwarten, dass man sich um sie kümmert und die eine bittere Enttäuschung verspüren. Und diese Enttäuschung und die Abwehrhaltung bekommen jetzt die „Anderen“ zu spüren. Menschen mit fremder Herkunft werden als Bedrohung wahrgenommen. Es geht nicht immer darum, dass die „Anderen“ jetzt „uns“ etwas wegnehmen. Aber wesentlich ist, dass wahrgenommen wird, diese Anderen erhalten symbolisch und/oder materiell eine Unterstützung, die einem selbst verwehrt wird oder für die man (was durch die oben angesprochenen Einschränkungen nur um so deutlicher wahrgenommen wird) hart arbeitet. Willkommensgrüße für Flüchtlinge am Bahnhof sind für diesen Teil der Bevölkerung eben auch ein Hohn.
Der zweite Punkt ist, dass an den „Anderen“ ein schlechtes Verhalten unterstellt wird. Sie stellen Ansprüche, halten sich nicht an Regeln und „kommen einem frech“, wenn man das kritisiert. Nicht selten werden dabei eigene Vorrechte gegenüber den „neu Hinzugekommenen“, die sich erstmal hinten anstellen sollen, proklamiert.
Die (rechts-)radikale Variante davon sieht dann so aus, dass die „Anderen“ hier überhaupt nichts zu suchen haben, sondern bei „uns“ eindringen und „unserer Rechte“ berauben.
Es liegt mir fern, diese Haltungen und Reaktionen gutzuheißen, aber vom Ignorieren gehen sie nicht weg.
Was ist also zu tun? Die Fehler der Wiedervereinigung lassen sich nicht mehr beseitigen. Die Frage der Anerkennung ist jedoch meines Erachtens zentral. Dazu gehört ein gesicherter Lebensstandard auch im Falle von Abstürzen.
Und: das Land muss zusammengeführt werden. Ein Beispiel für eine weitere tiefe Spaltung: Nach wie vor klaffen gefühlt kommunikative Welten zwischen dem Teil der deutschen Bevölkerung mit ostdeutscher und dem Teil mit türkischer Vergangenheit.
rohrfrosch - 25. Sep, 09:29
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